Ego-state-Therapie

Die menschliche Psyche ist facettenreich und komplex, geprägt von verschiedenen Denkmustern, Emotionen und Verhaltensweisen. In der Psychotherapie wird oft die Ego-State-Therapie verwendet, um diese innere Vielfalt besser zu verstehen und zu integrieren.

In diesem Blogbeitrag werden wir uns eingehend mit Ego-States befassen, ihre Definitionen, ihre Rolle im Kontext von Bindungstrauma, das Steuer-Ich und wie sie in der Therapie eingesetzt werden.

Was sind Ego-States?

Ego-States sind unterschiedliche psychologische Seiten/Anteile innerhalb einer Person, die verschiedene Gedanken, Emotionen und Verhaltensweisen repräsentieren.

Sie können aus verschiedenen Lebenserfahrungen und -erinnerungen entstehen.

Die Ego-State-Therapie geht davon aus, dass die Persönlichkeit aus einer Vielzahl solcher Seiten/ Anteile besteht, die in verschiedenen Situationen aktiviert werden können.

Beispiele für Ego-States und ihre Eigenschaften:

Das Steuer-Ich:

Das Steuer-Ich, auch als Erwachsenen-Ich bezeichnet, ist die zentrale Instanz, die die verschiedenen Ego-States koordiniert und lenkt.

Du kannst es Dir vorstellen, wie ein Dirigent, der sein Orchester dirigiert oder ein Kapitän auf einem Schiff, der seine Matrosen anleitet.

Jeder dieser Seiten/Anteile hat wichtige Kompetenzen und Ressourcen, doch  diese Seiten/Anteile brauchen ein Steuer-Ich.

Es ist rational, reflektierend und fähig, bewusste Entscheidungen zu treffen. Das Steuer-Ich ermöglicht die Kommunikation zwischen den Ego-States und fördert die Integration. 

Beipiele für andere Ego-state/Seiten/Anteile:

  1. Kindheits-Ich: Dieser Zustand bezieht sich auf Gefühle, Gedanken und Verhaltensweisen aus der Kindheit. Er kann sich in Verspieltheit, Neugierde oder Ängstlichkeit zeigen. Zum Beispiel könnte jemand, der als Kind oft allein war, ein Kindheits-Ich entwickeln, das Unsicherheit oder das Bedürfnis nach Aufmerksamkeit ausdrückt.
  2. Der innere Kritiker und der Perfektionist im Kontext von Bindungstrauma: Der innere Kritiker und der Perfektionist sind spezifische Ego-States, die in vielen Situationen auftreten können. Im Zusammenhang mit Bindungstrauma verstärken sie oft negative Selbstbilder und setzen hohe Standards, um sich vor erneuten Verletzungen zu schützen.
  3. Eltern-Ich: Das Eltern-Ich repräsentiert die internalisierten Stimmen der Eltern oder Autoritätspersonen. Es kann sorgend, fördernd, aber auch kritisch oder bestrafend sein. Wenn jemand in einer Umgebung aufgewachsen ist, in der Lob schwer zu bekommen war, könnte das Eltern-Ich ständig selbstkritische Gedanken erzeugen.
  4. Erwachsenen-Ich: Dieser Zustand ist rational und reflektierend, der auf aktuelle Ereignisse reagiert und lösungsorientiert handelt. Ein Beispiel könnte sein, wenn jemand in einer stressigen Arbeitssituation sachlich analysiert, wie er am besten mit der Situation umgehen kann.
  5. Kritiker-Ich: Der innere Kritiker zeigt sich durch selbstkritische Gedanken und kann zu Schamgefühlen führen. Wenn jemand in der Vergangenheit oft abgewertet wurde, könnte der innere Kritiker diese negativen Botschaften wiederholen.
  6. Beschützer-Ich: Der Beschützer-Ich-Zustand versucht, emotionale Verletzungen zu vermeiden, indem er Distanz schafft oder Kontrolle ausübt. Ein Beispiel könnte sein, wenn jemand aufgrund früherer Enttäuschungen Schwierigkeiten hat, anderen zu vertrauen und emotionalen Schutz sucht.
  7. Kreatives-Ich: Dieser Zustand fördert Kreativität, Fantasie und Freude am Ausdruck. Wenn jemand kreativ ist, könnte dieser Ego-State es ihm ermöglichen, Stress durch künstlerischen Ausdruck zu bewältigen.
  8. Verletztes-Ich: Das verletzte Ich zeigt starke Emotionen wie Trauer, Wut oder Angst aufgrund vergangener Erfahrungen. Zum Beispiel könnte jemand, der in der Vergangenheit traurige Verluste erlitten hat, ein verletztes Ich entwickeln, das starke Trauergefühle hervorruft.
Entstehung von traumabedingten Ego-States:

Traumatische Erfahrungen, insbesondere im Zusammenhang mit Bindung, können die Bildung von spezifisch traumabedingten Ego-States beeinflussen.

Diese Seiten/Anteile können durch wiederholte traumatische Ereignisse, Vernachlässigung oder Misshandlung entstehen.

Ein traumatisches Ereignis kann ein Kindheits-Ich prägen, das von Angst und Unsicherheit geprägt ist, während ein überkritischer Eltern-Ich durch Missbrauch oder übermäßige Kritik entstehen kann.

Diese traumabedingten Ego-States tragen oft dazu bei, ungesunde Bewältigungsstrategien zu entwickeln, um mit den traumatischen Erfahrungen umzugehen.

Aber alle traumabedingten Ego-States sind in Zeiten höchster Not entstanden um den Menschen zu helfen, zu überleben.

Die Rolle der Ego-State-Therapie:

Die Ego-State-Therapie basiert darauf, diese unterschiedlichen Seiten/Anteile bewusst zu erkennen und zu integrieren.

Sie fördert die Kommunikation zwischen den Ego-States, um Konflikte zu lösen und innere Harmonie zu erreichen. Dies kann insbesondere im Kontext von Bindungstrauma helfen, indem es hilft, ungesunde Muster zu erkennen und gesündere Bewältigungsstrategien zu entwickeln.

Fazit: Die Ego-States bieten einen faszinierenden Einblick in die Vielfalt der menschlichen Psyche. Sie spielen eine wichtige Rolle bei der Verarbeitung von Bindungstrauma und beeinflussen unsere Gedanken, Emotionen und Verhaltensweisen.

Die Ego-State-Therapie ist ein wertvolles Instrument, um diese inneren Zustände zu verstehen und zu integrieren, um ein gesünderes, ganzheitliches Selbst zu entwickeln. 

Die Ego-State-Therapie in der Praxis:

Ein Beispiel

Einleitung: Die Ego-State-Therapie ist ein mächtiges Werkzeug, um die innere Vielfalt einer Person zu erkunden und ungelöste Probleme anzugehen. In diesem Beispiel möchte ich Dir zeigen, wie die Therapie einer Frau  geholfen hat, ihr inneren Konflikte zu bewältigen und zu heilen.

Der Fall von Sarah:

Sarah, Anfang 30, sucht therapeutische Hilfe aufgrund von anhaltenden Gefühlen von Selbstzweifeln und Ängsten in Bezug auf ihre Beziehungen.

Sie berichtete, dass sie oft das Gefühl hatte, dass ein innerer Kritiker sie ständig abwertete und ihr sagte, dass sie nicht gut genug sei. Dies führte dazu, dass sie sich in romantischen Beziehungen zurückzog und Schwierigkeiten hatte, sich selbst zu akzeptieren.

Es ist von grundlegender Bedeutung, zunächst das individuelle Steuer-Ich zu identifizieren und heraus zu arbeiten.

Dies bezieht sich auf die Ressourcen und Kompetenzen, die der Klient im Verlauf seines Lebens erworben hat, um ein tiefes Empfinden von Stabilität, Sicherheit und Selbstbestimmung zu vermitteln und zu erleben.

Ich begann damit, ihre verschiedenen Ego-States zu erkunden.

Zuerst zeigte sich der innere Kritiker und wir begannen diesen konkret zu identifizieren.

Er war der Anteil, der bei selbstkritischen Gedanken aktiviert wurde.

Wir begannen herauszuarbeiten, wie lange er schon bei Sarah ist, wie alt er sich zeigt, wie er sich fühlt, vor allem aber, durch und in welchen Situation er entstanden ist. 

Ich ermutigte Sarah, diese Gedanken zu formulieren und im Abstand zu betrachten.

Sarah stellte sich den inneren Kritiker als eine kritische Lehrerin namens „Miss Streng“ vor. Miss Streng hatte hohe Erwartungen an Sarah und war oft unbarmherzig.

Nun begann Sarah mit Miss Streng in einen Dialog zu treten. Dies ermöglichte Sarah, ihre selbstkritischen Gedanken besser zu verstehen und zu bewältigen.

Jetzt verstand sie, was die gute Absicht von „Miss Streng“ war. Sie tauchte immer dann auf, wenn die Zugehörigkeit zur Familie (als Kind) in Frage gestellt war. Sie „half“ Sarah sich anzupassen, zu funktionieren, ihre eigenen Bedürfnisse herunter zu schlucken, um ja in der Familie bleiben zu können. Denn dies ist für ein Kind überlebenswichtig.

Wäre sie stattdessen renitent gewesen, hatte aufbegehrt, hätte sich gewehrt,  (so war die Sicht dieses Anteils) wäre sie vielleicht in ein Heim gekommen und letztendlich am Leben gescheitert.

Lieber kritisiere ich Sarah und schau dass sie brav funktioniert, als dass sie ihr Überleben gefährdet. 

In der nächsten Stunde endeckten wir den Verletzten-Ich- Anteil:

Während der Therapie stellte sich heraus, dass Sarah ein tief verwurzeltes Verletztes-Ich hatte, das aus ihrer Kindheit stammte.

Dieses letzte Mal hatte ich starke Gefühle der Vernachlässigung und Ablehnung erlebt, was zu starken Emotionen wie Traurigkeit und Wut führte. Dieses Kindheits-Ich beeinflusste ihre gegenwärtigen Beziehungen und ihre Fähigkeit, sich selbst zu lieben.

Sarah lernte, achtsamer mit ihren Gefühlen umzugehen und diese zu akzeptieren. Sie begann, Selbstmitgefühl zu entwickeln und erkannte, dass die Gefühle des letzten Ichs Teil ihrer Geschichte waren, aber nicht ihre Gegenwart oder Zukunft bestimmt.

Integration und Heilung: Im Verlauf der Therapie begann Sarah, die Kommunikation zwischen ihren Ego-States zu fördern. Das  Steuer-Ich hilft dabei, Konflikte zu lösen und Ressourcen aus verschiedenen Zuständen zu nutzen. Sie entwickelte Strategien, um mit ihrem inneren Kritiker und dem verletzten Anteil umzugehen und begann, gesunde Beziehungen aufzubauen.

Mit der Zeit erlebte Sarah eine tiefgreifende Veränderung. Sie fühlten sich selbstbewusster, hatten eine positivere Selbstwahrnehmung und konnten Beziehungen auf eine gesündere Weise gestalten.

Die Ego-State-Therapie halb ihr, innere Konflikte zu bewältigen und ihre innere Vielfalt in Einklang zu bringen.

Fazit: Dieses Beispiel zeigt, wie die Ego-State-Therapie einem Individuum dabei helfen kann, innere Konflikte zu verstehen und zu heilen. Durch die Arbeit mit den verschiedenen Ego-States und der Integration von Ressourcen können positive Veränderungen im Selbstbild und in den Beziehungen erreicht werden. Es betont auch die Bedeutung der Selbstakzeptanz und des Selbstmitgefühls auf dem Weg zur Heilung.

 

lebensmitte-endlich-stark.de