Es geht nicht darum ob, sondern wie wahr sind unsere Erinnerungen wirklich und durch was werden sie beeinflusst?

Unsere Erinnerungen sind oft nicht vollständig oder objektiv, sondern können durch verschiedene Faktoren verzerrt oder verändert werden.

Neurobiologisch betrachtet gibt es mehrere Mechanismen, die dazu beitragen können, dass unsere Erinnerungen nicht immer der Realität entsprechen:

  • Rekonstruktive Natur des Gedächtnisses: Das menschliche Gedächtnis ist nicht wie eine Kamera, die Ereignisse genau aufzeichnet und wiedergeben kann. Stattdessen ist es rekonstruktiv, was bedeutet, dass Erinnerungen oft auf Basis von Fragmenten und schematischen Informationen konstruiert werden. Diese Rekonstruktion kann zu Verzerrungen führen, da Erinnerungen mit anderen Erfahrungen, Erwartungen und Überzeugungen verknüpft werden können.
  • Einfluss von Emotionen: Emotionen können einen starken Einfluss auf die Bildung und den Abruf von Erinnerungen haben. Traumatische Ereignisse können beispielsweise dazu führen, dass bestimmte Aspekte der Erinnerung verstärkt werden, während andere unterdrückt oder verzerrt werden. Dies kann dazu führen, dass traumatische Erinnerungen besonders lebhaft oder verzerrt erscheinen.
  • Konsolidierung und Rekonsolidierung: Wenn wir eine Erinnerung bilden, durchläuft sie einen Prozess der Konsolidierung, bei dem sie im Gehirn stabilisiert und gespeichert wird. Während dieses Prozesses können jedoch Veränderungen auftreten, die die Genauigkeit der Erinnerung beeinflussen. Darüber hinaus können Erinnerungen bei jedem Abruf erneut konsolidiert werden, was zu Veränderungen oder Verzerrungen führen kann.
  • Suggestibilität: Externe Einflüsse wie suggestive Fragen oder soziale Interaktionen können unsere Erinnerungen beeinflussen und zu Fehlinformationen führen. Zum Beispiel können suggestive Fragen während einer Befragung dazu führen, dass Personen falsche Details in ihre Erinnerungen integrieren.
  • Neuroplastizität: Das Gehirn ist plastisch und kann sich im Laufe der Zeit verändern. Dies bedeutet, dass Erinnerungen im Laufe der Zeit modifiziert oder neu interpretiert werden können, was zu Unterschieden zwischen der ursprünglichen Erinnerung und der aktuellen Wahrnehmung führen kann.

 

Unsere Erinnerungen können nicht nur durch persönliche Erfahrung und emotionale Prozesse beeinflusst werden, sondern auch durch die Erzählungen anderer Menschen.

Dies geschieht aus verschiedenen Gründen:

  1. Soziale Interaktionen: Durch Gespräche und Interaktionen mit anderen Menschen können wir Informationen und Erzählungen aufnehmen, die unsere eigenen Erinnerungen beeinflussen können. Zum Beispiel können wir durch Gespräche mit Familienmitgliedern oder Freunden neue Details über vergangene Ereignisse erfahren, die unsere Erinnerungen ergänzen oder verändern.
  2. Kulturelle Einflüsse: Unsere kulturellen Hintergründe und die Geschichten, die in unserer Gesellschaft verbreitet werden, können ebenfalls unsere Erinnerungen beeinflussen. Geschichten, die wir in den Medien sehen oder in Büchern lesen, können unser Verständnis von vergangenen Ereignissen prägen und unsere Erinnerungen daran formen.
  3. Kollektive Erinnerungen: In einigen Fällen können ganze Gruppen oder Gesellschaften kollektive Erinnerungen teilen, die von kulturellen oder historischen Narrativen geprägt sind. Diese kollektiven Erinnerungen können die individuellen Erinnerungen einzelner Personen beeinflussen und zu einem gemeinsamen Verständnis vergangener Ereignisse beitragen.
  4. Familienmythen und Geschichten: Innerhalb von Familien können bestimmte Geschichten oder Mythen über vergangene Ereignisse weitergegeben werden, die das Verständnis und die Erinnerungen einzelner Familienmitglieder prägen können. Diese Geschichten können im Laufe der Zeit verändert oder verzerrt werden und so zu Unterschieden zwischen den tatsächlichen Ereignissen und den erinnerten Versionen führen.

 

Insgesamt können die Erzählungen anderer Menschen einen erheblichen Einfluss auf unsere eigenen Erinnerungen haben, indem sie neue Informationen liefern, vorhandene Erinnerungen ergänzen oder verändern und kulturelle oder soziale Kontexte bereitstellen, die unsere Interpretationen beeinflussen.

Dies unterstreicht die dynamische und kontextuelle Natur von Erinnerungen und ihre Fähigkeit, sich im Laufe der Zeit zu verändern und anzupassen.

Insgesamt zeigt dies alles, wie komplex und kontextabhängig der Erinnerungsprozess ist und wie verschiedene Faktoren, einschließlich des emotionalen Zustands, die Art und Weise beeinflussen können, wie wir uns an vergangene Ereignisse erinnern.

 

Auch unsere Stimmung hat einen Einfluss, an was und wie wir uns erinnern:

Zum Beispiel könnten Personen, die sich in einem glücklichen oder positiven Zustand befinden, dazu neigen, sich besser an positive Ereignisse zu erinnern, während Personen, die sich in einem depressiven oder traurigen Zustand befinden, dazu neigen, sich besser an negative Ereignisse zu erinnern.

Dieser Effekt wird durch die Aktivierung bestimmter Netzwerke im Gehirn beeinflusst, die mit dem emotionalen Zustand verbunden sind.

Die Wahrnehmung ist in diesem Moment selektiv und vieles andere wird ausgeblendet:

Hier ist ein Beispiel für selektive Wahrnehmung

im Zusammenhang mit Trauma:

Angenommen, eine Person hat in ihrer Kindheit traumatische Erfahrungen mit Hunden gemacht, bei denen sie von einem Hund gebissen wurde. Diese traumatische Erfahrung hat tiefe Ängste und negative Emotionen in Bezug auf Hunde ausgelöst.

Wenn diese Person nun als Erwachsener einem Hund begegnet, könnte sie dazu neigen, sich stark auf die Merkmale des Hundes zu konzentrieren, die ihre Ängste verstärken, wie zum Beispiel seine Größe, sein Bellen oder seine Bewegungen. Sie könnte sich intensiv darauf konzentrieren, den Hund zu beobachten und Anzeichen von Aggression oder Gefahr zu suchen.

Gleichzeitig könnte die Person weniger auf positive Merkmale des Hundes oder Hinweise darauf achten, dass der Hund freundlich ist oder keine Bedrohung darstellt. Selbst wenn der Hund freundlich ist und versucht, Zuneigung zu zeigen, könnte die Person diese Signale möglicherweise ignorieren oder als bedrohlich interpretieren.

Diese selektive Wahrnehmung im Zusammenhang mit dem Trauma reflektiert die tief sitzenden Ängste und negativen Assoziationen, die die Person mit Hunden verbindet. Die traumatische Erfahrung hat ihre Wahrnehmung beeinflusst und dazu geführt, dass sie sich stark auf Informationen konzentriert, die ihre Angst verstärken, während positive oder neutrale Informationen weniger Beachtung finden.

In diesem Beispiel zeigt sich, wie selektive Wahrnehmung als Schutzmechanismus dienen kann, indem sie dazu beiträgt, potenzielle Gefahren zu erkennen und zu vermeiden. Gleichzeitig kann sie jedoch auch dazu führen, dass die Person reale Gefahren überinterpretiert oder positive Erfahrungen verpasst.

 

State-dependent Memory

State-dependent memory ist ein Phänomen, bei dem die Abrufbarkeit von Erinnerungen durch den Zustand oder die Bedingungen beeinflusst wird, in denen die Informationen ursprünglich kodiert wurden. Anders ausgedrückt bedeutet dies, dass Menschen sich besser an Informationen erinnern können, wenn sie sich in einem ähnlichen physiologischen oder emotionalen Zustand befinden wie zum Zeitpunkt des Lernens oder der Erfahrung.

Es gibt verschiedene Arten von Zuständen, die das state-dependent memory beeinflussen können:

  1. Physiologische Zustände: Dazu gehören beispielsweise der Konsum von Alkohol oder anderen Drogen, Müdigkeit, Hunger oder körperliche Anstrengung. Personen könnten sich besser an Informationen erinnern, die sie in einem bestimmten physiologischen Zustand gelernt haben, wenn sie sich später wieder in diesem Zustand befinden.
  2. Emotionale Zustände: Emotionale Zustände wie Freude, Traurigkeit, Angst oder Stress können ebenfalls das state-dependent memory beeinflussen. Personen können sich besser an Informationen erinnern, die sie in einem bestimmten emotionalen Zustand gelernt haben, wenn sie sich später wieder in einem ähnlichen emotionalen Zustand befinden.
  3. Umweltbedingungen: Die Umgebung, in der das Lernen oder die Erfahrung stattgefunden hat, kann ebenfalls das state-dependent memory beeinflussen. Personen könnten sich besser an Informationen erinnern, die sie in einer bestimmten Umgebung gelernt haben, wenn sie sich später wieder in dieser Umgebung befinden.

Ein bekanntes Beispiel für state-dependent memory ist der Effekt, dass Menschen sich besser an Dinge erinnern können, die sie betrunken gelernt haben, wenn sie später wieder betrunken sind. Dies unterstreicht die Bedeutung der Berücksichtigung des Kontextes und der Bedingungen, unter denen das Lernen oder die Erfahrung stattgefunden hat, für den Erinnerungsprozess.

Auch stark positive Ereignisse, können das Trauma wieder aktivieren:

Traumatische Ereignisse aktivieren das Nervensystem sehr stark, was zu einer erhöhten Erregung führt, die von Stresshormonen wie Adrenalin und Cortisol begleitet wird.

Positive Ereignisse, die hohe Erregung auslösen, können das Nervensystem in einen ähnlichen Zustand versetzen wie während des traumatischen Ereignisses.

Wenn eine Person also eine hohe Erregung durch positive Ereignisse erlebt, kann dies das state-dependent memory aktivieren und traumatische Erinnerungen reaktivieren oder verstärken. Diese plötzliche Reaktivierung traumatischer Erinnerungen kann retraumatisierend sein und starke emotionale Reaktionen auslösen, selbst wenn die aktuelle Situation eigentlich positiv ist.

Insgesamt kann die hohe Erregung durch positive Ereignisse das Nervensystem aktivieren und das state-dependent memory beeinflussen, was zu einer Reaktivierung traumatischer Erinnerungen und einer Retraumatisierung führen kann.

 

Hier liegt aber auch ein große Chance Einfluss zu nehmen, z.B. durch Selbstregulationsübungen:

Wenn du dich positiv aktivierst, indem du deine Stimmung verbessert, kann sich deine Sicht auf die Welt deutlich verändern.

Positive Wahrnehmung: Wenn du dich positiv fühlst, bist du eher geneigt, positive Aspekte deiner Umgebung und deiner Erfahrungen zu bemerken. Du könntest die Schönheit der Natur mehr schätzen, die Freundlichkeit anderer Menschen wahrnehmen und dich auf Dinge konzentrieren, die dir Freude bereiten.

Optimistische Interpretation: Eine positive Stimmung kann dazu führen, dass du Ereignisse und Situationen optimistischer interpretierst. Du könntest Herausforderungen als Chancen zum Wachsen sehen, Misserfolge als Lernmöglichkeiten betrachten und Schwierigkeiten als vorübergehende Hindernisse ansehen, die überwunden werden können.

Erweiterte Perspektive: In einem positiven Zustand könntest du eine breitere Perspektive auf die Welt haben und offen sein für neue Erfahrungen und Möglichkeiten. Du könntest neugieriger sein, neue Dinge ausprobieren und dich für die Perspektiven anderer Menschen interessieren.

Resilienz und Selbstwirksamkeit: Positive Aktivierung kann deine Resilienz stärken und dein Gefühl der Selbstwirksamkeit erhöhen. Du könntest besser in der Lage sein, mit Stress umzugehen, dich schneller von Rückschlägen zu erholen und deine Ziele mit Zuversicht und Entschlossenheit zu verfolgen.

 

 

 

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