Retraumatisierung – Körperliche und psychische Anzeichen
von Beate | Jan. 21, 2025 | Narzissmus, Psychologische Themen
Retraumatisierung –
Körperliche und psychische Anzeichen erkennen
Retraumatisierung ist ein Zustand, der entsteht, wenn Dein Körper, Deine Psyche oder Nervensystem durch einen bestimmten Auslöser (Trigger) wieder in den Zustand eines früheren Traumas zurückversetzt wird. Es fühlt sich an, als würdest Du das traumatische Erlebnis erneut durchleben – emotional, psychisch und körperlich. Diese Erfahrung kann sehr belastend sein, und viele Menschen fragen mich, an welchen psychischen und körperlichen Anzeichen sie erkennen können, ob sie eine Retraumatisierung erleben oder erlebt haben.
In diesem Artikel erfährst Du, welche seelischen und körperlichen Anzeichen typisch sind für eine Retraumatisierung, wie Dein Nervensystem dabei reagiert und wie Du achtsam mit Dir selbst oder anderen umgehen kannst.
Was passiert im Nervensystem bei einer Retraumatisierung?
Um zu verstehen, was bei einer Retraumatisierung geschieht, ist ein Blick auf die Polyvagal-Theorie hilfreich. Dein Nervensystem, genauer gesagt der Vagusnerv, spielt eine zentrale Rolle in der Verarbeitung von Stress und Gefahren:
- Sicherheitsmodus (ventraler Vagus)
Wenn Du Dich sicher fühlst, bist Du im ventralen Vagus-Modus. Dein Körper und Deine Psyche sind entspannt, und Du kannst klar denken, kommunizieren und positive soziale Verbindungen genießen. - Kampf- oder Fluchtmodus (Sympathikus)
Bei wahrgenommener Gefahr aktiviert Dein Körper den Sympathikus. Das Herz schlägt schneller, die Atmung wird flacher, und Dein Körper bereitet sich darauf vor, zu kämpfen oder zu fliehen. - Erstarrungsmodus (dorsaler Vagus)
Wenn die Gefahr überwältigend erscheint, schaltet Dein Nervensystem in den dorsalen Vagus-Modus. Du fühlst Dich gelähmt, distanziert oder wie „abgeschaltet“. Dieser Zustand ist typisch bei Dissoziation und Retraumatisierung.
Bei einer Retraumatisierung wird Dein Nervensystem plötzlich in den Kampf-, Flucht- oder Erstarrungsmodus versetzt – oft ausgelöst durch scheinbar harmlose Trigger wie Geräusche, Gerüche oder Situationen. Dein Körper glaubt, dass die ursprüngliche Gefahr wieder da ist, auch wenn sie in der Realität nicht existiert.
Wenn Du ausführlicher über die Polyvagal-Theorie und ihre Bedeutung bei Retraumatisierung erfahren möchtest, findest Du hier weitere Informationen ⇒ Polyvagal-Theorie
Psychische Anzeichen einer Retraumatisierung
Menschen, die eine Retraumatisierung erleben, zeigen oft deutliche psychische Reaktionen. Hier einige typische Symptome – ergänzt durch Beispiele aus dem Alltag:
- Flashbacks
Du erlebst das Trauma in Gedanken, Bildern oder Gefühlen erneut.
Beispiel: Der Geruch von Alkohol erinnert Dich an eine frühere, belastende Situation, und Du fühlst Dich plötzlich wieder hilflos wie damals. - Emotionale Überwältigung
Gefühle wie Angst, Wut, Scham oder Trauer treten plötzlich und intensiv auf, ohne dass Du sie einordnen kannst.
Beispiel: Jemand kritisiert Dich, und anstatt sachlich zu reagieren, fühlst Du eine tiefe Scham, als würdest Du wieder abgewertet wie in Deiner Kindheit. - Dissoziation
Du fühlst Dich abgetrennt von Dir selbst, Deinen Gefühlen oder Deiner Umgebung. Es kann sich anfühlen, als würdest Du „neben Dir stehen“.
Beispiel: Während einer Dissoziation merkst Du plötzlich, dass Du nichts mehr wahrnimmst und wie erstarrt bist. - Hypervigilanz
Dein Nervensystem ist in ständiger Alarmbereitschaft, selbst in eigentlich sicheren Situationen.
Beispiel: In einer Gruppe achtest Du permanent auf die Worte, die Mimik und Körpersprache anderer, um Konflikte zu vermeiden. - Intrusive Gedanken
Belastende Gedanken oder Erinnerungen an das Trauma kehren immer wieder zurück, oft in Form von Sorgen oder Grübeleien.
Körperliche Anzeichen einer Retraumatisierung
Retraumatisierung zeigt sich nicht nur psychisch, sondern oft auch körperlich, da Dein Nervensystem direkt auf den wahrgenommenen Trigger reagiert. Häufige Symptome sind:
- Herzrasen und Atemnot
Dein Herz schlägt schneller, und Du hast das Gefühl, nicht genug Luft zu bekommen.
Beispiel: Ein lauter Knall löst in Deinem Körper dieselbe Reaktion aus, die Du während eines traumatischen Ereignisses hattest. - Muskelverspannungen und Schmerzen
Dein Körper ist in ständiger Anspannung, besonders im Nacken, in den Schultern oder im Rücken.
Beispiel: Ein vertrauter, aber unangenehmer Tonfall einer Person kann dazu führen, dass sich Dein gesamter Körper versteift. - Magen-Darm-Beschwerden
Stress wirkt sich stark auf Deinen Verdauungstrakt aus. Übelkeit, Bauchschmerzen oder Durchfall sind häufige Reaktionen. - Schweißausbrüche oder Kälteschauer
Dein Körper reagiert auf die empfundene Gefahr mit plötzlichem Schwitzen oder einem Frösteln. - Erschöpfung und Schlafstörungen
Nach einer Retraumatisierung kannst Du Dich unglaublich erschöpft fühlen, weil Dein Nervensystem auf Hochtouren gearbeitet hat.
Achtsamkeit im Umgang mit Retraumatisierung
Wenn Du mit Retraumatisierung zu tun hast, ist es wichtig, achtsam mit Deinem Körper, Deiner Psyche und Deinem Nervensystem umzugehen. Hier sind einige Ansätze, die Dir helfen können:
- Ein sicheres Umfeld schaffen
Sorge dafür, dass Du Dich in einer Umgebung befindest, in der Du Dich geschützt und verstanden fühlst. Das kann bedeuten, dass Du Grenzen setzt oder Dich von bestimmten Situationen distanzierst. - Trigger erkennen und verstehen
Versuche, die Auslöser Deiner Retraumatisierung zu identifizieren. Schreibe auf, wann die Symptome auftreten, und überlege, welche Situationen, Geräusche oder Worte sie ausgelöst haben könnten. - Den Körper beruhigen
Da Dein Nervensystem direkt beteiligt ist, helfen Körperübungen, um wieder in den ventralen Vagus-Modus zurückzukehren.- Atemübung: Atme tief ein und langsam aus, während Du Deine Füße fest auf dem Boden spürst.
- Bewegung: Sanfte Bewegung, wie ein Spaziergang oder leichtes Dehnen, hilft, Spannungen abzubauen.
- Psychoedukation
Verstehe, dass Retraumatisierung keine „Schwäche“ ist, sondern eine normale Reaktion Deines Nervensystems. Dieses Wissen kann Dir helfen, die Symptome besser einzuordnen und Dich weniger machtlos zu fühlen. - Professionelle Unterstützung suchen
Wenn die Symptome zu belastend sind, wende Dich an einen Trauma-Therapeutin oder eine Fachperson, die Dich durch diesen Prozess begleitet.
Retraumatisierung ist eine starke und belastende Reaktion, bei der Dein Körper und Deine Psyche durch alte Erinnerungen in den Alarmzustand versetzt werden. Die körperlichen und psychischen Anzeichen sind vielfältig, aber sie lassen sich erkennen, wenn Du achtsam auf Dich hörst.
Heilung ist ein Prozess, der Zeit, Geduld und Mitgefühl mit Dir selbst erfordert. Indem Du die Signale Deines Körpers verstehst und auf Dein Nervensystem achtest, kannst Du lernen, Dich Schritt für Schritt sicherer und stabiler zu fühlen. Du bist nicht allein auf diesem Weg, und es gibt Unterstützung, die Dich dabei begleiten kann.